Pflegegrad beantragen
Haben Sie den Eindruck, die nötigen Hilfeleistungen sind so umfangreich, dass die Voraussetzungen für den Pflegegrad 1 oder für eine Höherstufung erfüllt sein könnten? Dann sollten Sie einen Antrag bei der Pflegekasse (zum Beispiel AOK ⇗) stellen. Das sollte schriftlich geschehen. Sie benötigen kein Antragsformular. Die Prüfung ist kostenfrei. Die Pflegekasse ist in der Regel über die Krankenversicherung zu erreichen.
Für einen Pflegegrad ist zum einen wichtig, wie weit jemand in der Lage ist, ohne Hilfen anderer Menschen durch einen „normalen“ Alltag zu kommen. Zum anderen, ob die Einschränkungen der Selbstständigkeit auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate bestehen werden.
Ob Demenz ⇗, Rheuma ⇗ oder Multiple Sklerose ⇗ dazu führt, dass eine Pflegeperson beim Duschen helfen muss, ist nicht entscheidend. Wie alt jemand ist, bleibt zweitrangig.
Es muss bei der Begutachtung festgestellt werden, welche Anregungen, Handgriffe oder Verrichtungen ... durch Angehörige oder Pflegekräfte durchzuführen sind.
Vor allem mit Blick auf Menschen, die zum ersten Mal einen Antrag bei der Pflegekasse stellen, formuliert Hajo Stuhlträger (Kreisseniorenbeirat Mayen–Koblenz): Es ist seit der Pflegereform 2017 „sinnvoller denn je, sich gut beraten zu lassen.“ Die (fast) flächendeckend in Deutschland angebotenen Pflegestützpunkte können dabei eine wichtige Stütze sein. „Ihr Wissen um die Möglichkeiten, Leistungen passend zu nutzen und miteinander zu kombinieren, kann kein Laie sich im Pflegefall schnell genug aneignen“ (Blick, 2017). [Zeitungsartikel über die Arbeit im Pflegestützpunkt in Alzey ⇗ (2016)]
Im Jahr 2018 begutachtete der MDK „zwei Millionen Versicherte zur Feststellung des Grads der Pflegebedürftigkeit.“ (MDS, 2019b) Ein Verfahren, dass für Millionen von Menschen angewandt wird, kann nicht ohne bürokratische Hürden sein. Im Dezember 2020 sind in NRW 48,3% der Pflegebedürftigen in Pflegegrad 3, 4 oder 5 eingestuft (Landesbetrieb IT NRW, 2021).
Von sich aus werden die Pflegekassen nicht tätig, die Versicherten oder ihre juristisch Bevollmächtigten müssen einen Antrag stellen. Der VdK rät: „Wer sich nicht sicher ist, ob er Pflegegrad 1 zuerkannt bekommt, sollte sich einstufen lassen.“ (VdK, 2021a).
Falls ein Pflegegrad bewilligt wird gilt: „Leistungsbeginn ist der Tag der Antragstellung (das Datum des Anrufs bei der Kasse mit Bitte um Zusendung des Antrags.)“ (DAlzG, 2020b) Die Pflegekasse zahlt rückwirkend - wie lange das Verfahren (einschließlich Widerspruch) dauert, ist unerheblich.
Ist der Antrag eingegangen, schickt die Pflegekasse meist einige Broschüren. Dann wird der Medizinische Dienst (MDK) beauftragt, für die Begutachtung einen Termin auszumachen (was in der Regel schriftlich passiert; also: Briefkasten im Auge behalten!).
Im Rahmen der Begutachtung sollen die Leute vom MDK die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen auch individuell beraten. Nutzen Sie diese Chance! Erfahrende Pflegeprofis haben oft hilfreiche Tipps.
Vom WDR TV gibt's einen realistischen Bericht über die Arbeit von pflegenden Angehörigen: Mama pflegen: Schaffe ich das? ⇗ (2019).
Es ist auch möglich, die Begutachtung bereits in einem Krankenhaus oder einer Kurzzeitpflegeeinrichtung durchzuführen. Das ist wichtig, um die Voraussetzungen für die weitere Versorgung zu Hause oder in einem Altenheim vorzubereiten. In den meisten Krankenhäusern gibt es einen „Sozialdienst“, der bei der Abwicklung helfen kann – fragen Sie danach!
Auch Hilfsmittel (zum Beispiel: Pflegebetten, Toilettensitzerhöhungen, Rollatoren, Badewannenlifter, Dekubituskissen, Weichlagerungsmatratzen) müssen beantragt werden. Voraussetzung ist, dass entweder im MDK–Gutachten oder durch einen behandelnden Arzt die Notwendigkeit bescheinigt wurde. Dann zahlt meist die Krankenkasse.
Auch Umbaumaßnahmen (zum Beispiel: Treppenlifte, Haltegriffe im Bad, zweiter Handlauf im Treppenhaus, höhere Toilette, absenken der Schwelle zum Balkon ...) sind vor Beginn der Arbeiten zu beantragen. Lassen Sie sich dazu beraten.
⁇ Wann bekomme ich Pflegegrad 1?
‼️ Wir haben beispielhaft eine Situation beschrieben, die zu Pflegegrad 1 führen könnte.
Bearbeitungsfrist
Die gute Nachricht: Wird ein Erst–Antrag oder ein Antrag auf Höherstufung gestellt, „ist spätestens 25 Arbeitstage nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse die Entscheidung der Pflegekasse schriftlich“ den Antragstellenden mitzuteilen (§18 (3) SGB XI ⇗). Diese Regelung zur Bearbeitungszeit bindet die Pflegekassen, egal ob AOK ⇗, Barmer ⇗, DAK ⇗, ikk ⇗ ... Spezielle MDK-Fristen sind überflüssig, denn nur die Pflegekasse kann die juristisch verbindliche Entscheidung über einen Pflegegrad treffen. 2020 war diese Bearbeitungsfrist zweitweise ausgesetzt. Seit Oktober 20 gelten Bearbeitungsfrist und 70€ Anspruch wieder (awo-Pflegeberatung, 2020).
Leider sind die Erläuterungen zur Dauer der Bearbeitung von Höherstufungsanträgen oft schwammig (zum Beispiel: BRi und BMG, 2018a). Auf unsere Nachfrage beim MDS kam per eMail die Antwort: „Die 25-Arbeitstagefrist ist nicht nur bei Erstanträgen auf Pflegeleistungen anzuwenden, sondern grundsätzlich auch bei Höherstufungsanträgen.“ Zur Berarbeitungszeit von Widersprüchen gibt es keine verbindlichen Fristen. Das dauert oft drei oder vier Monate.
Und was passiert, wenn es länger dauert? Ab 1.1.2018 muss die Pflegekasse für jede Woche Verzögerung 70€ an die Versicherten zahlen. „Erteilt die Pflegekasse den schriftlichen Bescheid über den Antrag nicht innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang des Antrags oder wird eine der in Absatz 3 genannten verkürzten Begutachtungsfristen nicht eingehalten, hat die Pflegekasse nach Fristablauf für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung unverzüglich 70€ an den Antragsteller zu zahlen. Dies gilt nicht, wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat ...“ (§18 (3b) SGB XI ⇗; Link geprüft am 16. Januar 2019)
Das Recherche Netzwerk Deutschland berichtet, im Oktober 2017 habe die Bearbeitung eines Antrags im Schnitt etwa 30 Tage gedauert. „Im Jahr davor seien es noch knapp 18 Tage gewesen.“ (Millich, 2017b) Verena Querling von der Verbraucherzentrale NRW gibt im April 2018 Entwarnung: „Wir hatten in letzter Zeit keine Beschwerden mehr von Antragsstellern.“ (Gräber, 2018a)
Die TK in Rheinland-Pfalz meldet, in 2017 habe sie 18% mehr Erstanträge als im Vorjahr bearbeitet (Ärzte Zeitung, 2018b).
Wie stelle ich einen Antrag? (Muster)
Es ist nicht vorgeschrieben für einen Antrag auf Ein- oder Höherstufung ein spezielles Antragsformular zu verwenden. Es ist sinnvoll den Antrag schriftlich zu stellen, um die nötigen Informationen zu den Versicherten und das Datum verbindlich zu übermitteln.
Der Antrag auf einen Pflegegrad/Pflegegeld muss bei der Pflegekasse gestellt werden. Haben Sie keine Adresse? Fragen Sie bei ihrer Krankenkasse nach!
Wir bieten Ihnen Muster-Vorlagen zum Download:
So könnten Sie einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung formulieren:
📎 für fast alle Programme: antrag.txt
📎 für OpenOffice: antrag.odt
📎 im pdf-Format antrag.pdf
📎 mit Erläuterungen im pdf-Format antrag+erlaeuterungen.pdf
📎 für MS-Word antrag.doc
So könnten Sie einen Antrag auf einen höheren Pflegegrad/Höherstufung formulieren:
📎 im pdf-Format antrag-hoeherstufung.pdf
Im VdK-TV gibt's die Episode: Pflegeleistungen – Wie stellt man einen Antrag an die Pflegekasse? ⇗ (Januar 2017)
Vorbereitung auf den MDK Besuch
In Zeiten der Pflegestufen wurde zur Vorbereitung auf die MDK–Begutachtung meist versucht, minutengenau den Pflegeaufwand zu berechnen. Oft verschicken die Pflegekassen ein Pflegetagebuch. Wir haben in der Beratung schon vielseitige „Dokumentationen“ gesehen, mit denen über Wochen Tag für Tag, minutengenau notiert wurde, welche Handgriffe vorgenommen wurden. Der SoVD hat eine Broschüre mit Erläuterungen zum Pflegetagebuch veröffentlicht. Das Heft hat 120 Seiten. Das ist absurd! Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie sich viele Stunden in pflegewissenschaftlich erarbeitete Richtlinien einarbeiten. Sie müssen auch nicht Stunde um Stunde mit detaillierten Berichten verbringen. So viel Aufwand ist unnötig!
Es bleibt sinnvoll sich vorher zu überlegen, welche Handgriffe und Hinweise von Pflegepersonen nötig sind, damit die Pflegebedürftigen durch den Tag kommen. Wie hilft die Pflegeperson morgens zwischen Augen öffnen und dem ersten Schluck Kaffee? Können Medikamente zuverlässig ohne Hilfe besorgt, sortiert und eingenommen werden? Wie oft wären Hilfen in der Nacht nötig? Bei vielen Pflegebedürftigen schwankt der Unterstützungsbedarf mit der Tagesform. Ist es möglich zu schätzen wie viele „gute“ und wie viele „schlechte Tage“ es durchschnittlich pro Woche gibt?
Machen Sie eine Liste!
Es geht bei der MDK Begutachtung um den wirklichen, alltäglichen Hilfebedarf. Auch wenn Sie sich beim Besuch der Gutachter*in fit fühlen: schildern Sie realistisch, was Ihnen Tag für Tag schwer fällt und vor allem bei welchen Tätigkeiten Sie ohne Hilfe gar nicht zurecht kommen. Die Begutachtung ist „kein geeigneter Zeitpunkt, um sich besonders stark zu zeigen.“ (Schmid, 2019; Seite 60).
... weitere Tipps zur Vorbereitung auf den MDK Besuch.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat im Dezember 2017 einen Selbsteinschätzungsbogen veröffentlicht. Zwölf Seiten Text sollen helfen, sich eine Meinung über den Grad der Selbstständigkeit von Demenzkranken zu bilden.
Die Pflegekasse kann Rentenbeiträge für pflegende Angehörige zahlen. Wenn der MDK zur Begutachtung kommt, wird auch nach den Namen der Pflegepersonen gefragt und der zeitliche Umfang der pflegerischen Hilfen dokumentiert. Nutzen Sie diese Gelegenheit! Mehr zur Rentenversicherung für Angehörige.
Bescheid der Pflegekasse
Das fertige Gutachten wird vom MDK an die Pflegekasse geschickt. Dort wird über den Pflegegrad entschieden und Sie bekommen einen schriftlichen Bescheid. Darin steht, ob und welcher Pflegegrad zugestanden wurde. Meist wird angegeben, wie lange der Pflegegrad gilt. So können Sie sich darauf einstellen, wann die Pflegekasse von sich aus eine Wiederholungsbegutachtung in Auftrag geben wird. Im Bescheid soll auch über die Möglichkeit des Widerspruchs informiert und eine Frist dazu angegeben werden. Der Bescheid kann Informationen über Maßnahmen der Rehabilitation enthalten. Seit 2017 wird mit dem Bescheid regelmäßig auch eine Kopie des MDK-Gutachtens zugestellt.
Werden im Gutachten Hilfsmittel (zum Beispiel: Toilettensitzeröhung, Pflegebett oder Wannenlifter) empfohlen, sollen diese ohne weitere Nachfragen von der Kasse genehmigt werden (§18 (6a) SGB XI ⇗), falls die Versicherten einen Antrag stellen. Ihr Sanitätshaus berät sie gern!
Oft finden Sie im Bescheid Hinweise auf die Pflegeberatung. Nach § 37(3) SGB XI ⇗ müssen sich alle, die mindestens für Pflegegrad 2 Leistung erhalten, regelmäßig durch eine Pflegefachkraft beraten lassen.
Darüber hinaus verschicken die Pflegekassen mit dem Bescheid häufig allgemeine Informationen über Pflegestützpunkte, weniger bekannte Leistungen der Pflegekassen oder Leistungsanbieter vor Ort.
Widerspruch
Wenn Sie mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht einverstanden sind, ist der erste Schritt, das MDK-Gutachten genau zu lesen. Darin wird sehr detailliert begründet, wie die Entscheidung für oder gegen einen Pflegegrad zu stande kam. Ein Widerspruch muss fristgerecht bei der Pflegekasse ankommen (Muster) Jeder Widerspruch sollte mit Fehlern im Gutachten begründet werden. Dazu können wir Sie individuell beraten.
Kommt ein Widerspruch zu spät, muss er abgelehnt werden. Auch deshalb ist es am Besten, wenn Sie den Widerspruch schriftlich per Post oder per Fax bei der Pflegekasse einreichen.
Oft wird in den Medien kritisiert, dass zu niedrige Pflegegrade vergeben würden.
Kein System, dass so viele Menschen betrifft (etwa 2,4 Millionen Menschen bekamen 2016 Leistungen der Pflegeversicherung), kann fehlerfrei sein. Einzelne zu niedrige, wie auch zu hohe Pflegegrade begegnen uns in der Beratung immer wieder. Bisher konnten wir nirgends einen Nachweis finden, dass systematisch „runter gerechnet“ würde. Belastbare Statistiken liefert der MDS. Darin wird angegeben, dass in der ambulanten wie in der stationären Pflege, seit Jahren gegen deutlich weniger als 10 % der Einstufungen Widerspruch eingelegt wird.
Wir empfehlen, die Begutachtung gelassen anzugehen und darauf zu hoffen, dass Sie zu den über 90 % gehören, die keinen Grund für einen Widerspruch sehen.
[Mehr zum Widerspruch lesen ...]
Es passiert schon mal, dass die Gutachtenden mit ihrem Verhalten Ärger bei Pflegebedürftigen oder Angehörigen auslösen. Das soll nicht sein, denn der MDK hat als Anspruch: Die Begutachtungen werden „in respektvoller und wertschätzender Weise“ durchgeführt. Falls Sie Anlass zu Klagen haben, können Sie sich ganz offiziell beim MDK beschweren.
Warum wir diese Internetseiten anbieten und wer wir sind.
Details zu den Pflegegraden:
⇒ Pflegegrad 1
⇒ Pflegegrad 2
⇒ Pflegegrad 3
⇒ Pflegegrad 4
⇒ Pflegegrad 5
Allgemeine Informationen zu den Pflegegraden.
Quellen:
– Das SGB XI auf www.gesetze-im-internet.de.
– Allgemeine Zeitung, 2016
– Ärzte Zeitung, 2018b
– awo-Pflegeberatung (2020): Welche veränderten Leistungen erhalten Krankenversicherte, Pflegebedürftige und pflegende Angehörige in Corona-Zeiten?
– Blick, 2017
– Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 2018a
– Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG), 2020b: Informationsblatt 8 | Die Pflegeversicherung
– Gräber, 2018a
– Handelsblatt, 2018
– König, 2017
– Landesbetrieb IT NRW (2021): Nahezu die Hälfte der Pflegebedürftigen in NRW ist in Pflegegrad 3, 4 oder 5 eingestuft
– MDR, 2017
– MDS, 2017
– MDS, 2019b (Pressemitteilung)
– Millich, 2017b
– Paaßen, Georg: Gutachtenstatistik, Artikel über die Qualität der MDK–Gutachten vom 26. August 2016.
– Schmid, Raimund (2019): „12 Wege zu guter Pflege“
– SoVD (2017): Das neue Pflegetagebuch. Selbsteinschätzung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen
– VdK, 2016b
– VdK (2021a): Viele Pflegebedürftige verzichten auf Leistungen
– VdK-TV (2017b): Pflegeleistungen: Wie stellt man einen Antrag an die Pflegekasse?, Beitrag vom Januar 2017
– WDR, 2019a
[ausführliche Quellenangaben]