Nachrichten aus der Pflege | 22. Dezember 2017
2011, 2012, 2016, 2017: Betrügerisches Vorgehen in der ambulanten Pflege erreicht Titelseiten und Hauptnachrichtensendungen. Nach den 2011 gemeldeten Vorfällen ist bis heute von Verurteilungen nichts zu lesen. Trotzdem werden auch im Dezember 2017 wieder alle Anbieter öffentlich unter Generalverdacht gestellt. Jetzt wird berichtet: Sowohl Polizei als auch gesetzliche Versicherungen klagen über mangelnde Ermittlungskompetenz.
Mindestens seit 2011 gibt es Berichte, dass Leute mit viel krimineller Energie Strukturen organisieren, um Pflege- und Krankenkassen systematisch zu betrügen: „Nach Behördenerkenntnissen sind sie in bundesweit agierenden Netzwerken verbunden.“
Im November 2017, also nach sechs Jahren wird dem Sachverhalt so viel Aufmerksamkeit zuteil, dass auf Einladung des GKV-Spitzenverband zum ersten Mal grundsätzlich auf Bundesebene über Ermittlungsmethoden diskutiert wird. Zum ersten Mal sitzen Bundeskriminalamt, Staatsanwälte, Kranken-, Pflegekassen und Ministerien zum Thema „Abrechnungsbetrug in der Pflege“ gemeinsam an einem Tisch.
Dominik Schirmer, „Fehlverhaltensbeauftragter der AOK Bayern“ bekomme wöchentlich „fünf bis sechs Verdachtsmeldungen aus diesem Bereich auf den Tisch. In 70 Prozent der Fälle habe sich der Verdacht bestätigt.“ In Niedersachsen sind 2017 über 700 Prüfungen vom MDK durchgeführt worden. Bei mehr als jeder dritten wurden „Auffälligkeiten festgestellt“. In wie vielen Fällen Verdacht oder Auffälligkeit zu Strafanzeigen und polizeilichen Ermittlungen führten ist nicht zu erfahren.
Zum Jahresabschluss ist zu lesen, dass bei den bisherigen Kontrollen und Ermittlungen eher die kleinen Fische ins Netz gingen. „Die Prüfungen durch die Krankenkassen seien nicht dafür ausgelegt, organisierte Kriminalität offenzulegen, so die Kritik von Dina Michels, Chefermittlerin der Krankenkasse KKH.“ Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagt Martin Litsch (AOK-Bundesverband): Werde ein Pflegedienst wegen fragwürdiger Abrechnungen geschlossen, so könnten dieselben Leute im Nachbarbundesland mit der gleichen Masche einen neuen Pflegedienst gründen. Staatsanwaltschaften, Polizei und MDK hätten keine Plattform, um Daten auszutauschen. (Obwohl organisierter Betrug in der Pflege seit 2011 öffentlich angeprangert wird.) Der Bayerische Rundfunk titelt: »Neues Gesetz weitgehend wirkungslos«.
Auf Seiten der Ermittelnden tut sich also wenig.
Bei den jährlichen Prüfungen der Pflegedienste durch den MDK für die Pflegenoten, wurde allerdings erheblich aufgerüstet (III. Pflegestärkungsgesetz). Die ohnehin schon intensive Prüfung der Aktenführung bei den pflegerischen Arbeiten wurde ab 1. Januar 2017 um die weitgehende Prüfung der Abrechnungsunterlagen erweitert. Es gibt Berichte, dass die Prüfteams seit 2017 nicht mehr zu zweit, sondern zu viert erscheinen. Manchmal wird statt an einem Tag auch an zwei Tagen geprüft. Offiziell waren 2015 in Deutschland 13 323 ambulante Pflegeeinrichtungen registriert. In den Medienberichten werden 230 Pflegedienste genannt, gegen die polizeiliche Ermittlungen liefen. Das wären etwa 1,7 % aller registrierten Pflegedienste. 98,3 % der Pflegedienste sind in diesem Zusammenhang unverdächtig. Aber bei allen Pflegediensten werden Tag für Tag Dokumentationen gefüllt, es werden zigtausende von Unterschriften gesammelt, Kostenvoranschläge geschrieben, anwaltlich abgesicherte Pflegeverträge gedruckt, gelocht und abgeheftet ... damit bei den jährlichen intensiven Prüfungen der Akten möglichst keine Kritik kommt.
Kommentar:
🎁 Hätte ich einen Wunsch zu Weihnachten frei ... 🎁
Pflegekräfte, Kaufleute im Gesundheitswesen, Pflegedienstleitungen ... alle kämpfen täglich gegen den Mangel an Fachkräften in der Altenpflege an.
Jedes Formular, das in der ambulanten Pflege benutzt wird, sollte geprüft werden: Nützt es Gesundheit und Wohlbefinden der Pflegebedürftigen? Steht der bürokratische Aufwand in einem realistischen Verhältnis zur Kosteneinsparung durch vermiedene Betrügereien?
Und die gewonnenen Ressourcen setzen wir ein, um in der Tourenplanung die Wünsche der Pflegebedürftigen nach weniger Personalwechseln und mehr Pünktlichkeit zu erfüllen.
Georg Paaßen
Ist das Gesetz gegen Abrechnungsbetrug in der Pflege unwirksam? Artikel von Arne Meyer-Fünffinger auf www.br.de (20. Dezember 2017).
Neues Gesetz weitgehend wirkungslos Beitrag auf www.br.de vom 20. Dezember 2017.
Expertentreffen zum Abrechnungsbetrug in der Pflege Artikel von Arne Meyer-Fünffinger auf www.br.de (16. November 2017).
Betrug. Massenhaft? unser Beitrag vom 31. Mai 2017.
DESTATIS: Anzahl der Pflegedienste in Deutschland (Link geprüft am 31. Mai 2017).
Video-Tweet von Tagesthemen zum Thema (30. Mai 2017)
Betrugsverdacht gegen ambulante Pflegedienste, Rheinische Post online am 30. Mai 2017.
Bundesweites Betrüger-Netzwerk vermutet, Die Zeit am 30. Mai 2017.
Abrechnungsbetrug in der Pflege. Sonderermittler vermuten bundesweites Netzwerk, BR am 30. Mai 2017.
Wie kriminelle Pflegedienste Versicherungen betrügen, SZ am 30. Mai 2017.
Bundesweiter Schlag gegen betrügerische Pflegedienste im September 2016, Pressemitteilung des LKA-NRW (2016).
Betrug, Massenhaft?, unser Beitrag vom 9. August 2016.
Abrechnungsbetrug in der ambulanten Pflege?, unser Beitrag vom 5. März 2012.
DBfK zu Abrechnungsbetrug in Berlin, über eine Pressemeldung des DBfK vom 8. September 2011.
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