Nachrichten aus der Pflege | 8. Juni 2017
Besonders Pflegebedürftige, die in der eigenen Wohnung leben möchten, sind auf informelle Pflege angewiesen. Das sind Verwandte, Bekannte, Nachbarn (meist Frauen), die putzen, einkaufen, Behördenangelegenheiten regeln oder schon mal nach einem Sturz helfen, wieder hoch zu kommen. Eine repräsentative Studie beschreibt Zeitaufwand von pflegenden Angehörigen und Kosten für pflegerische Hilfen.
Die von den Gewerkschaften getragene Hans-Böckler-Stiftung hat in über tausend Pflegehaushalten umfangreich nachgefragt, wer, welche und wieviele Pflegeleistungen erbringt. Die Größe der Stichprobe erlaubt es erstmalig seriöse Schätzungen zur informellen, also der von Angehörigen erbrachten Pflege in Deutschland zu machen.
Aus der Zusammenfassung:
Die Versorgung von Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung klappt in der Regel nur, wenn mehere Menschen – in der Regel Angehörige und Nachbarn gemeinsam aktiv sind. In der Regel gibt es eine „Hauptpflegeperson“, die ein solches Netzwerk koordiniert. Aber: Jede fünfte Hauptpflegeperson bleibt ohne Unterstützung durch Bekannte oder professionelle Pflege, ganz auf sich allein gestellt. Der Generation der Kinder und Schwiegerkinder der Pflegebedürftigen fällt es leichter informelle Unterstützung und/oder professionelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Von den vielfältigen professionellen Unterstützungsangeboten wird vor allem genutzt, was innerhalb der Wohnung erbracht werden kann. Gruppenbetreuungsangebote, Kurzzeit- oder Tagespflege bilden Ausnahmen.
Die Fragen zum gesamten zeitlichen Aufwand für die pflegerischen Hilfen belegen das große Engagement der pflegenden Angehörigen – nur ein Zehntel der in Deutschland für die häusliche Pflege nötigen Arbeitsstunden wird von Pflegeprofis erbracht. Für neun Zehntel stehen Verwandschaft, Nachbarn, Bekannte grade.
Auch wenn die Voraussetzungen für einen Pflegegrad nicht erfüllt sind, müssen in erheblichem Umfang Zeit und Geld für die pflegerische Versorgung aufgewand werden. Mit zunehmender Pflegebedürftigkeit steigt dieser Aufwand. „In einer gewichteten Gesamtbetrachtung waren in einem durchschnittlichen Pflegehaushalt in Deutschland 63 Stunden pro Woche und rund 360 € monatlich für die Bewältigung der Pflegebedürftigkeit aufzubringen.“ Es kann nicht überraschen, dass es in einkommensstarken Haushalten gelingt, häusliche Pflegearrangements länger und auch bei schwerer und schwerster Pflegebedürftigkeit aufrecht zu erhalten. Wer knapp bei Kasse ist muss eher auf Selbstständigkeit verzichten und zu Sozialhilfesätzen in ein Altenheim umziehen.
40 % der Befragten geben an, keine Pflegeberatung in Anspruch zu nehmen. Dies betrifft überproportional „bildungsferne Schichten“. Dadurch sinken die Chancen, die vielfältigen Leistungen staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen, die im Bürokratiedschungel versteckt sind. So steigen die materiellen Schwierigkeiten weiter.
Ein weiteres Problem ist, dass (trotz des öffentlich intensiv beklagten Fachkräftemangels) die Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter meist nur in reduziertem Umfang Erwerbsarbeit leisten (können). „Lediglich ein Viertel ist in Vollzeit erwerbstätig. Die Angebote des Pflegezeitgesetzes werden bisher kaum in Anspruch genommen.“
Im März 2015 veröffentlichte die AOK eine Hochrechnung zum wirtschaftlichen Wert der Angehörigenpflege: „Legt man beispielsweise für deren durchschnittlichen Zeitaufwand den Mindestlohn zugrunde, so käme man auf eine Arbeitsleistung von rund 29 Milliarden Euro. Die Ausgaben der Pflegeversicherung insgesamt umfassen aktuell rund 23 Milliarden Euro.“
Darüber hinaus bringt die Studie Licht in die Schattenwirtschaft mit osteuropäischen „Haushaltshilfen“. Sie machen oft viel mehr als hauswirtschaftliche Arbeiten und von ihnen wird oft erwartet, dass sie 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche bereit stehen, um Pflegebedürftige zu unterstützen. „Jeder zwölfte Pflegehaushalt in Deutschland beschäftigt eine mit im Hause lebende, meist aus Osteuropa stammende Hilfskraft. Diese Versorgungsform nutzen vor allem Haushalte mit höherem Einkommen und mit Pflegebedürftigen, für die ein sehr hoher Betreuungs- und Pflegeaufwand besteht.“
Die vollständige Studie steht zum Download zur Verfügung:
Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten .
Pflege daheim: Angehörige wenden im Schnitt rund 50 Stunden pro Woche auf, gesetzliche Pflegezeit noch wenig genutzt, Pressemitteilung der Hans–Böckler–Stiftung vom 7. Juni 2017.
Zu Hilfe, dringend, Kristiana Ludwig zum Thema in der Süddeutschen Zeitung (7. Juni 2017).
Mein Bruder, das Solidarsystem und ich, unser Beitrag zur Verleihung des Caritas-Journalistenpreis an Katja Bauer vom 5. Februar 2018.
Merkel lobt die Pflegenden, unser Beitrag vom 23. Dezember 2016.
Pflegeljahre, unser Beitrag zu Kindern und Jugendlichen, die Pflegen (18. Oktober 2016).
Angehörige: unbezahlbar, unser Beitrag zum materiellen Wert der informellen Pflege vom 17. März 2015.
Pflegestatistik, unser Beitrag zu den Leistungen pflegender Angehöriger vom 3. Februar 2007.
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