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Nachrichten aus der Pflege | 31. Mai 2017

Betrug. Massenhaft?

2011, 2012, 2016, 2017: Betrügerisches Vorgehen in der ambulanten Pflege erreicht Titelseiten und Hauptnachrichtensendungen. Wenn es um genaue Zahlen geht, wird es schnell still. Auch „Qualitätsjournalismus“ hält sich dann zurück. Nach den 2011 gemeldeten Vorfällen ist bis heute von Verurteilungen nichts zu lesen. Trotzdem werden auch 2017 wieder alle Anbieter öffentlich unter Generalverdacht gestellt.

Hohe Zahlen lösen Aufmerksamkeit aus. Wohl deshalb schreibt (nicht nur) die Redaktion von Zeit-online: Mit betrügerischen Abrechnungen von Pflegediensten könnte »mindestens eine Milliarde Euro Schaden im Jahr entstanden sein.«
Bei dieser Größenordnung überlegen viele Lesende: kenne ich einen Menschen, die Hilfe von einem ambulanten Pflegedienst bekommt? Wahrscheinlich laufen da Betrügereien ... So wird Generalverdacht ausgelöst.

Hingesehen

Offiziell waren 2015 in Deutschland 13 323 ambulante Pflegeeinrichtungen registriert. In den Medienberichten werden immer wieder 230 Pflegedienste genannt, gegen die polizeiliche Ermittlungen liefen. Das wären etwa 1,7 % aller registrierten Pflegedienste. 98,3 % der Pflegedienste sind in diesem Zusammenhang unverdächtig.
Die genannte mögliche Schadensumme soll für's Kalenderjahr gelten. Es kämen über 4 000 000 € ergaunertes Geld pro Jahr auf jeden der 230 Pflegedienste. Machen Sie mal selbst eine Recherche: Fragen Sie mal beim Pflegedienst ihres Vertrauens nach der Größenordnung der Jahreseinnahmen. Vergleichen Sie das mit den genannten 4 Mio €. Es gibt nur sehr wenige einzelne Pflegedienste in Deutschland die 1 Mio € Jahreseinnahmen erzielen. Wie sollte es da möglich sein, den Kassen vielfach viele Millionen betrügerisch in Rechnung zu stellen?
Es ist wohl realistischer die Vermutungen über die Schadensumme um den Faktor 100 kleiner anzusetzen.

Anlass für die Presseberichte im Mai 2017 ist ein Bericht von BKA und LKA-NRW über Ermittlungen, die schon seit »Mitte 2014« laufen. 2016 schreibt das LKA-NRW, vier Hauptbeschuldigte seien verhaftet worden. Tagesschau, Zeit, BR, Rheinische Post ... Keine Redaktion kann melden, wem konkret was vorgeworfen wird. Es ist offen wie viele Verfahren eröffnet wurden. Es ist auch nicht zu lesen, dass Kranken- oder Pflegekassen ihrerseits ermittelt hätten, wie groß die Schäden sind. Seit drei Jahren gibt's also wenig Konkretes, geschweige denn Überprüfbares zu dem, was heute als Sensation von Medienhäusern verkauft wird.

Leidtragende

Nicht berichtet wird von denen, die die Folgen der Betrügereien auszubaden haben.
Seit 2017 wird im Rahmen der Prüfungen zu den Pflegenoten bei allen der über 13 000 Pflegedienste auch mit buchhalterischer Genauigkeit geforscht, wer, wann, bei wem, mit welcher Qualifikation, welche Leistung erbrachte, ob die Rechnung des Pflegedienstes an die Leistungserbringer dies exakt widerspiegeln und ob die Rahmenverträge auch auf Punkt und Komma eingehalten wurden.
Ein Beispiel:
Bei vielen Menschen mit Diabetes, wird vor jeder Insulingabe der Blutzuckerwert gemessen, um die Insulindosis anzupassen. Was ist denn, wenn der gemessene Wert so niedrig ist dass kein Insulin nötig ist. Dann ist die Pflegekraft hingefahren, wurde tätig, hat aber nach den Massstäben der Bürokratie, die abrechenbare Leistung: »subkutane Injektion« nicht erbracht. Betrug! brüllt der Bürokrat.
In der Folge anderer bürokratischer Regelungen, ist aber die Verordnung der Blutzuckermessung komplizierter, als die Verordnung der Injektion. Es ist Mehraufwand für die Pflegedienste den Mitarbeitenden in den Arztpraxen entsprechende Verordnungen zu entlocken, denn die Verordnungen häuslicher Krankenpflege erfordern (in der Folge von Betrugsfällen im letzten Jahrhundert) auf DIN A4 Formularen vielerlei Eintragungen. Viele gesetzliche Kassen stellen leicht unterschiedliche Anforderungen und die Genehmigung solcher Verordnung wird vielfach nur für ein Quartal gewährt.
Es gilt auch: die gesetzlichen Krankenkassen zahlen Pauschalen. So gibt es für die subkutane Injektion genauso viel Geld wie für die BZ-Kontrolle. Im System der Pauschalen ist es sogar so, dass es den gleichen Betrag gibt, egal ob eine der beiden oder beide Leistugnen erbracht werden. Was bürokratisch als Betrug gilt, richtet keinen finanziellen Schaden an.
Um dem Betrugsvorwurf auszuweichen, der (2 Insulingaben pro Tag, 2-4 mal pro Monat ist nach Messung keine Injektion nötig) selten gemacht werden könnte, muss Zeit aufgewandt werden – Zeit und Energie, die eben nicht dafür verwendet werden können, Pflegebedürftige zu Pflegen.

Vielleicht wird bei 1 %, vielleicht bei 3 % der Pflegedienste mit krimineller Energie betrogen. Bei 100 % der Pflegedienste müssen die höheren bürokratische Hürden erklommen werden, um die 2017 eingeführten Kontroll-Anforderungen zu erfüllen.

 

Abrechnungsbetrug: eine unendliche Geschichte unser Beitrag vom 22. Dezember 2017.
Betrug, Massenhaft?, unser Beitrag vom 9. August 2016.
DESTATIS: Anzahl der Pflegedienste in Deutschland (Link geprüft am 31. Mai 2017).
Bundesweiter Schlag gegen betrügerische Pflegedienste im September 2016, Pressemitteilung des LKA-NRW (2016).
Video-Tweet von Tagesthemen zum Thema (30. Mai 2017)
Betrugsverdacht gegen ambulante Pflegedienste, Rheinische Post online am 30. Mai 2017.
Bundesweites Betrüger-Netzwerk vermutet, Die Zeit am 30. Mai 2017.
Abrechnungsbetrug in der Pflege. Sonderermittler vermuten bundesweites Netzwerk, BR am 30. Mai 2017.
Wie kriminelle Pflegedienste Versicherungen betrügen, SZ am 30. Mai 2017.
Abrechnungsbetrug in der ambulanten Pflege?, unser Beitrag vom 5. März 2012.
DBfK zu Abrechnungsbetrug in Berlin, über eine Pressemeldung des DBfK vom 8. September 2011.

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Letzte Aktualisierung: 20.01.2018